Oregon


ECM 1258   78118-21258-2

Album cover Ralph Towner
Paul McCandless
Collin Walcott
Glen Moore


[1.] The Rapids (Towner) 8:25
 Towner: Prophet 5 synthesizer, piano
 Moore: bass
 McCandless: soprano saxophone
 Walcott: percussion
 (Towner, Distant Hills Music-ASCAP)

[2.] Beacon (Oregon) 2:52
 Moore: viola
 McCandless: oboe
 Towner: Prophet 5
 Walcott: percussion
 (Oregon, Grazing Dreams Music-ASCAP)

[3.] Taos (Oregon) 6:11
 McCandless: tin flute
 Towner: classical guitar, Prophet 5
 Walcott: percussion, tongue drum
 Moore: bass
 (Oregon, Grazing Dreams Music-ASCAP)

[4.] Beside a Brook (McCandless) 4:19
 McCandless: oboe, English horn
 Towner: piano, Prophet 5
 Moore: bass
 (McCandless, Bocal Music-ASCAP)

[5.] Arianna (Moore) 6:25
 McCandless: oboe, English horn
 Towner: 12-string guitar, Prophet 5
 Walcott: sitar
 Moore: bass
 (Moore, Moore Music-ASCAP)

[6.] There Was No Moon That Tonight (Oregon) 7:17
 McCandless: bass clarinet
 Walcott: percussion
 Moore: bass
 Towner: classical guitar, Prophet 5
 (Oregon, Bocal Music-ASCAP)

[7.] Skyline (Oregon) 1:18
 Towner: Prophet 5
 Moore: bass
 Walcott: percussion
 (Oregon, Distant Hills Music-ASCAP)

[8.] Impending Bloom (Moore) 7:51
 McCandless: English horn, musette
 Walcott: bass drum, voices
 Towner: Prophet 5
 Moore: piano, bass
 (Moore, Moore Music-ASCAP)

Digital Recording February 1983, Tonstudio Bauer, Ludwigsburg
Engineer: Martin Wieland
Cover Photo: Gabor Attalai
Liner Photo: W. Patrick Hinely
Design: Barbara Wojirsch
Many thanks to Manfred Eicher

An ECM Production

For correspondence and concerts:
Oregon
Box 758
Gleneden Beach Oregon 97388
USA

1983 ECM Records GmbH



Oregon

I.
Illuminiert am Eingang die Notenbücher und Skripten von Strawinsky, Webern, Bartók und Bach. Unter den weiten Arkaden lateinamerikanisches und afrikanisches Schlagwerk, im Lichthof ausgestellt die Instrumente von Ravi Shankar und Alla Rakha. In der großen Passage grußen Scott LaFaro und Bill Evans mit leichter Verneigung zurück. Der Wiener Gitarrenlehrer Karl Scheit und Toscaninis erster Oboist Robert Bloom erinnern sich beim Aperitif ihrer Schüler. Beim Streit um die Frage, ob das Improvisieren einem Symphoniker den Stil verderbe, wird Bloom laut. Nicht weit vom Ausgang proben ein Symphonieorchester und ein Bläser-Oktett ein dialogisch vertracktes Stück. Alles ist schon gesagt in der Musik. Alles ist möglich.
Oregon sind Flaneure in den Musik-Passagen des zwanzigsten Jahrhunderts.

II.
Ihre Musik integriert Elemente verschiedener Kulturen und Traditionen. Generalbaß, große Septime, Doppeltriole, blue note. Nichts ist bloß montiert, alles angeschaut mit dem Blick des Flaneurs, der das Gesehene (Gehörte) umformt und neu erfindet. Alles muß neu erfunden werden, neu gesagt.
Oregon haben einen unverwechselbaren, ganz und gar eigenen Stil gefunden, nicht durch enzyklopädisches Zitieren und nicht durch eigenwillige Instrumentierung, sondern aufgrund ihrer dialektischen Musikauffassung. Die Sitar ahmt keine Raga nach, Collin Walcott hat eine sehr europäische, auf die anderen Instrumente abgestimmte Spielweise entwickelt; der Scheit-Schüler Ralph Towner rhythmisiert die melodischen Möglichkeiten der klassischen Gitarre; Paul McCandless bläst das synkopische Thema rein wie ein Largo von Scarlatti. Oregon musizieren mit beträchtlicher innovatorischer Phantasie, in der Aufstellung eines Kammermusikensembles stehend zwischen allen Stühlen.
Alle vier haben neben der Gruppenarbeit eigene musikalische Konzepte verfolgt, mit großen Orchestern eigene Kompositionen aufgeführt und so neue Anregungen in die gemeinsame Arbeit eingebracht. Wie und mit welcher Insistenz, auf welchem theoretischen und instrumentalen Niveau Oregon an der "Sprachverfassung" zeitgenössischer Musik arbeiten, Vorstellungen von Bewegung, Fläche, Schwebezustand und Ruhe hörbar machen, Klangräume erweitern und immer wieder Grenzsteine verschieben, ist vielen der bisher zwölf Platten und am deutlichsten dieser dreizehnten ablesbar. Der Album-Titel "Oregon" ist Programm.

III.
Rekurs: Knapp die Hälfte aller von Oregon aufgenommenen Titel stammen von Ralph Towner. Seinen Kompositionen sind — bei aller formalen Strenge und Geschlossenheit — gebundene Improvisationsräume einbeschrieben, die dem spontanen Einfall und der (multi)instrumentalen Variation Raum geben. Die Improvisation ist im Thema angelegt. Es beinhaltet den großen Ausflug, die Einladung, sich in Modulation, Kadenz oder Fragment spielerisch vorzuwagen in die freie Assoziation, die Paraphrase. Es ist dialektisch gedacht: offen und geschlossen; zugleich aber werden die Improvisationsräume der Komposition thematisch eingegrenzt. Diese Grenzen zu überschreiten ist nur möglich im kollektiven Entwurf, der Gruppen-Komposition, die (vier) unterschiedliche Handschriften in sich aufhebt und dabei die Grenzen reiner Improvisation hinter sich laßt. Nach fast zweijähriger Pause, in der McCandless, Moore, Towner und Walcott mit anderen Musikern gespielt haben, arbeiten Oregon mit neuem Selbstverständnis und Anspruch.

IV.
Waren früher die meist mit "free piece" überschriebenen Improvisationen in erster Linie aneinandergereihte spontane Einfälle der einzelnen Musiker und das jeweilige Stück kaum mehr als die Summe seiner Einzelteile, so enthält "Oregon" erstmals vier kollektiv entwickelte Stücke, in denen die musikalischen Vorstellungen — Satz, Phrasierung, Klang — aller Gruppenmitglieder aufgehoben und kompositorisch abgebildet sind. Der qualitative Umschlag von der freien Improvisation zur Gruppen-Komposition ist hörbar und sichtbar geworden in der formalen Geschlossenheit, inneren Logik und dynamischen Differenziertheit der Musik. Oregon spielt freier und als Gruppe zugleich geschlossener. Die Subjektivität, sagt der Teufel im "Doktor Faustus" zu dem Tonsetzer Adrian Leverkühn, ist "im Objektiven" angekommen. "Die Freiheit neigt immer zum dialektischen Umschlag. Sie erkennt sich sehr bald in der Gebundenheit, erfüllt sich in der Unterordnung unter Gesetz, Regel, Zwang, System — erfüllt sich darin, das will sagen: hört darum nicht auf, Freiheit zu sein."
Neu sind bei Oregon die langen Introduktionen, die Klang-Affinitäten in der Instrumentierung, das austarierte, sich ständig verschiebende Verhältnis von Rhythmus- und Soloinstrumenten. Über den Fundamenten von Baß, Schlagwerk und Synthesizer spannen Bläser und Gitarre weiträumige Bögen, die ganz aus dem Thema abgeleitet sind und improvisatorisch ein zweites und drittes entwickeln. Und alles hat Platz: die Lust, das Chaos, das ironische Zitat und das atemlose Unisono.
Nichts ist schon gesagt.

V.
Möglich, daß Oregons musikalische Praxis mit einem Bild zu beschreiben ist, das der Schriftsteller und Dialektiker der Musiktheorie, AIejo Carpentier, in seiner Novelle "Barockkonzert" so wiedergibt:
Sobald das frenetische "allegro" entfacht war — die siebzig Frauen spielten ihre Stimmen auswendig, so oft hatten sie geprobt —, stürzte sich Antonio Vivaldi mit unwahrscheinlicher Wucht in die Sinfonie-Konzertante Manier, während Domenico Scarlatti schwindelerregende Tonleitern über das Cembalo jagte, indes Georg Friedrich Händel sich in blendenden Variationen erging, die alle Normen des Generalbasses mit Füßen traten. Unterdessen war aber Filomeno in die Küche gegangen und hatte von dort eine Batterie von Kupferkesseln aller Größen mitgebracht, auf die er nun mit Löffeln, Schaumkellen, Schneebesen, Nudelhölzern, Schürhaken, Federbesen einschlug mit derartigen Einfällen an Rhythmen, Synkopen, Kontrasttönen, daß sie ihn zweiunddreißig Takte lang allein ließen, damit er improvisieren könne. "Fabelhaft! Fabelhaft!" schrie Georg Friedrich. "Fabelhaft! Fabelhaft!" schrie Domenico und hieb begeistert mit dem Ellenbogen auf das Cembalo. 28. Takt, 29. Takt, 30. Takt, 31. Takt, 32. Takt — "Jetzt!" brüllte Antonio Vivaldi, setzte mit unwahrscheinlichem Schwung beim "da capo" ein und holte das letzte heraus aus den Geigen, Oboen, Posaunen, Regalen, Portativen, Gamben und was sonst noch alles in dem Schiff erschallen mochte, an dessen Decke, wie von einem himmlischen Skandalon erschüttert, die Kristallleuchter erbebten.

Christoph Buchwald

Christoph Buchwald, geb. 1951, Verlagslektor, lebt in München.

Oregon


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Обновление: 14.03.2004


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